Bild von Franz Bachinger auf Pixabay

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Die klassische Figur des kritischen Intellektuellen, der im Namen aller Menschen für Gerechtigkeit und Menschenrechte kämpft, hat im gesellschaftlichen Diskurs an Bedeutung verloren. Kann es überhaupt noch Intellektuelle im Zeitalter der vielen Wahrheiten geben?

 

Politische Intellektuelle gab es in der Geschichte immer, ohne dass man sie schon so nannte. Viele von ihnen haben mehr oder weniger bedeutsam den Lauf der politischen Geschichte geprägt. Als erster wirkungsmächtiger Intellektuelle im europäischen Kulturkreis kann der altgriechische Philosoph Platon gelten. In der Neuzeit übten etwa der französische Aufklärer Voltaire und der politische Philosoph Karl Marx großen politischen Einfluss aus. Sie alle waren in erster Linie Gelehrte, Wissenschaftler, Schriftsteller, die sich mit Kraft des Worts  in der einen oder anderen Weise, mehr oder weniger nachhaltig in allgemeinpolitischen Fragen engagierten, dabei aber doch immer in einer gewissen Distanz zur aktiven Politik blieben, selbst wenn sie – was selten genug vorkam – ein politisches Amt bekleideten.

Sie waren oft politische Wortführer, die im Name großer Ideen und Ideale als Propheten, Visionäre, Richtungsgeber oder charismatischer Vorkämpfer auftraten, blieben dabei persönlich aber meist gesellschaftliche Außenseiter, Sonderlinge, die sich vor allem in ihren Gedankengebäuden zu Hause fühlen, sich kollektiven Zwängen instinktiv entziehen und selbst politischen Freunden manchmal als weltfremden Idealisten galten, als hochfliegende Denker ohne Bodenhaftung, wie der griechische Vorsokratischer Thales von Milet, der beim Blick in die Sterne in die Grube am Boden gefallen sein soll.

„Freischwebender Intellektueller“ ( Mannheim) oder „organischer Intellektueller“ (Gramsci)

Für den Soziologen Karl Mannheim ermöglichte aber genau diese soziale Entrücktheit Intellektuellen einen ungeschönten, scharfsinnigen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Zustände. Die dialektische Verortung von Intellektuellen zwischen revolutionärem Engagement und sozialer Distanz brachte im 19. Jahrhundert der Prototyp des unabhängigen politischen Intellektuellen, der deutsch-französisch-jüdische Dichter Heinrich Heine mit folgenden Versen selbst auf den Punkt: „ Ich bin ein Wolf und werde stets/Auch heulen mit den Wölfen-/Ja, zählt auf mich und helft Euch selbst“. Gegen Mannheims Begriff von der „freischwebenden Intelligenz“ steht die auf den marxistischen Vordenker Antonio Gramsci zurückgehende Vorstellung von dem „organischen Intellektuellen“, der klassengebunden die kulturelle Hegemonie der jeweiligen gesellschaftlichen Herrschaftsschicht herstellt und verteidigt, also dem Intellektuellen, der wortgewaltig die Politik der Regierung verteidigt und ideologisch rechtfertigt. Auf der einen Seite also Apologet gesellschaftlicher Verhältnisse, auf der anderen deren visionärer Überwinder: Stets haben sich politische Intellektuelle zwischen diesen beiden Polen bewegt. Das Verhältnis zwischen Geist und Macht war selten spannungsfrei und oft von Anziehung wie Ablehnung geprägt. Als Spezialisten für das Allgemeine bleiben politische Intellektuelle immer Individualisten, die letztlich „für und durch die Ausübung der Intelligenz leben“(Raymond Aron) und sich deswegen nur zwischen den Stühlen wirklich wohlfühlen.

„J‘ accuse“ (Zola) als Gebursstunde des modernen Intellektuellen

Den Begriff des modernen Intellektuellen als Ankläger der Macht prägte der französische Schriftsteller Emile Zola, als er 1898 in einem offenen Brief unter dem Titel „J’accuse“ die antisemitischen Motive für die Ausbootung des jüdischen Hauptmanns Alfred Dreyfus aufdeckte und einen Aufstand gegen die katholisch-nationalistischen Eliten auslöste, der die Republik nachhaltig demokratisierte. Seitdem war der „Intellektuelle“ ein Synonym für tendenziell linke Gesellschaftskritik im Namen von Moral und universeller Wahrheit – und dadurch ein politischer Kampfbegriff. Galt er Linken und Linksliberalen meist als ein, wenn auch oft kritischer Mitstreiter für gesellschaftlichen Fortschritt und Gerechtigkeit, war er für Rechte und Nationalisten ein personifiziertes Feindbild, das für alles Verachtenswerte stand: für „Zersetzung“, für Internationalismus und Haltlosigkeit. Paradoxerweise war dieser rechte Antiintellektualismus meist selbst intellektueller Natur, was aber nicht an der ideologischen Frontstellung zwischen Links und Rechts änderte, die für die intellektuellen Auseinandersetzung um die kulturell-politisch-ideologische Hegemonie bis 1989 charakterisiert blieb.

Der „Verrat der Intellektuellen“ (Julien Benda)

Dabei unterschieden sich durchaus in den einzelnen Kulturkrisen die Formen der intellektuellen Kritik: Im deutschsprachigen Raum schufen etwa Kurt Tucholsky, Erich Kästner oder auch Karl Kraus eine Tradition der politische Satire, die mit ätzenden Sprachwitz die Mächtigen aller Gesellschaftsbereiche aufs Korn nahm und in der Bundesrepublik Deutschland vor allem vom politischen Kabarettisten Dieter Hildebrandt weitergeführt wurde. Einen letzten Höhepunkt erlebte die linksintellektuelle Gesellschaftskritik in den 1960er-/ 1970er-Jahren, als in Deutschland Schriftsteller wie Heinrich Böll oder Günter Grass oder in Frankreich vor allem Jean-Paul Sartre den antiautoritären Jugendprotest mehr oder weniger aktiv mitorchestrierten. Dabei war Jean-Paul Sartre lange Zeit ein Bewunderer der Sowjetunion Stalins und stand damit auch für das, was Julien Benda bereits 1927 den „Verrat der Intellektuellen“ an den universalen Werten von Demokratie und Gerechtigkeit nannte: nämlich die fragwürdige Faszination vieler Intellektuellen für machtpolitische Ideologien im 20. Jahrhundert, die sie wortreich legitimierten und damit letztlich totalitäre Herrschaftsstrukturen zu sichern halfen.

Nach 1990 der Niedergang des politischen Intellektuellen

Mit dem realen Scheitern der kommunistischen Großutopie ging ab den 1990er-Jahren nicht nur ein zentraler ideologischer Bezugspunkt, sondern auch der Glaube an die besondere moralische Urteilskraft von Linksintellektuellen verloren, die ihnen die Autorität verlieh, im Namen aller Menschen zu sprechen. Der bis dahin für Intellektuelle charakteristische Gestus der Eindeutigkeit wirkte im Zeitalter der Liberalisierung und Pluralisierung von Lebensentwürfen ohne ironische Brechung seltsam unzeitgemäß. Dazu macht die immer stärkere Fragmentierung von Medienöffentlichkeit den Anspruch auf eine gesamtgesellschaftliche Sprecherrolle auch strukturell fast unmöglich. Kennzeichnend ist eine bunte, ideologische Vielfalt von affirmativen Medienintellektuellen, die parallel auf verschiedenen Publikationskanälen ihr Publikum finden – teilweise ohne sich füreinander zu interessieren, ja manchmal ohne voneinander zu wissen.

 

 

 

 

Der Münchner Christoph Marx ist Publizist und Lektor und lebt in Berlin. Er arbeitet als Autor und Redakteur für viele namhafte Verlage und veröffentlichte bzw. verantwortete inhaltlich zahlreiche Werke, v.a. zu historisch-politischen, gesellschaftlichen, sportlichen und kulturellen Themen.Referenzliste unter Autor und Redakteur/Lektor.

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